Ätiologie (Ursachen) von Dysphagien – so können Schluckstörungen entstehen

Der Begriff „Dysphagie“ (griech.: dys=gestört und phagein=essen) bezeichnet eine Störung der Schluckfähigkeit von Nahrung, Flüssigkeit und Speichel. Obwohl so selbstverständlich wie der Lidschlag der Augen und meist unbewusst ablaufend, ist der physiologische Schluckakt ein überaus komplexer Vorgang, an dem über 25 Muskelpaare und 6 Hirnnerven beteiligt sind. Übergeordnete Zentren im Großhirn und Hirnstamm regulieren den Schluckakt.1 Unter Schutz der Atemwege werden Nahrung, Flüssigkeiten und Speichel mittels sehr fein aufeinander abgestimmten Bewegungen sicher in die Speiseröhre transportiert. 

Der natürliche Schluckvorgang dient allerdings nicht nur der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, sondern bereitet auch Genuss und ist Teil des sozialen Lebens. Daher führen Schluckstörungen meist auch zu einem ganz erheblichen Verlust an Lebensqualität und sozialer Teilhabe.

Ursachen für Schluckstörungen

Zahlreiche Krankheiten können eine Dysphagie begünstigen, wobei neurologische Erkrankungen, allen voran der akute Schlaganfall, zu den häufigsten Ursachen zählen. Daher werden Schluckstörungen, die durch Schädigungen des zentralen oder peripheren Nervensystems, der neuromuskulären Übertragungsregion oder der Muskulatur selbst verursacht werden, als „neurogene Dysphagien“ bezeichnet. So leiden nach neuesten Studien bis zu 80 Prozent der Schlaganfallpatienten in der Akutphase an einer Dysphagie, Parkinsonpatienten zu etwa 80 Prozent im Krankheitverlauf und Patienten mit Multipler Sklerose zu etwas mehr als einem Drittel.1

Neben einer Störung neuronaler Funktionen, können auch mechanische Ursachen den Schluckakt behindern, dazu zählen beispielsweise Stenosen oder Divertikel im Bereich des Ösophagus, sowie nach vorne wachsende Knochensporne der Halswirbelsäule (sog. Spondylophyten). In seltenen Fällen können Schluckstörungen auch rein psychische Gründe haben (z.B. nach einem traumatischen Erleben).2 Während Schluckstörungen sehr häufig mit einem hohen Lebensalter assoziiert sind, können sie allerdings auch bereits bei Kindern auftreten. Ursachen hierfür sind u.a. anatomische Fehlbildungen, (angeborene) neurologische Erkrankungen und Entwicklungsstörungen.3

Die Hauptursachen für Schluckstörungen im Überblick1,2:
  •  Neurogene Schluckstörungen (Schlaganfall, Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Schädel- Hirn-Traumen, Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Chorea Huntington, Demenz und weitere)
  •  Strukturelle Veränderungen (nach Chemo- bzw. Radiotherapie, chirurgischen Behandlungen und bei degenerativen Skeletterkrankungen)
  •  Medikamentöse Ursachen (z.B. als Nebenwirkung von Neuroleptika)
  •  Dysphagie im Rahmen von Alterungsprozessen (sog. „Presbyphagie“)
Neurogene Dysphagien – Informationen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie1:

Häufige mit Dysphagien assoziierte Krankheitsbilder und ihre Häufigkeit

Krankheitsbild Häufigkeit
Apoplex Mindestens 50 Prozent in der Akutphase
Schädel-Hirn-Trauma Über 60 Prozent
Demenz 20-30 Prozent
Multiple Sklerose Mehr als 33 Prozent im Krankheitsverlauf
Parkinson Bis zu 8o Prozent im Krankheitsverlauf7
Amyotrophe Lateralsklerose Bis zu 30 Prozent zu Beginn der Erkrankung, im weiteren Verlauf nahezu alle Patienten.
Im Alter 30-40 Prozent, 50 Prozent der Pflegeeinwohner, 70 Prozent in der Klinik

Phasen des Schluckvorgangs

Der physiologische Schluckvorgang verläuft in mehreren Phasen. In der Fachliteratur wird gelegentlich auch auch auf die sog. „präorale Phase“ verwiesen, die u. a. die Vorbereitung zur Nahrungsaufnahme inklusive Speichelproduktion und Aktivierung  der Magensäureproduktion beinhaltet und auch den Aspekt des Hinführens der Nahrung zum Mund (sog. Hand-Mund-Bezug) beinhaltet. Gemeinhin wird der Schluckvorgang in die folgenden 4 Phasen unterteilt:

  1. Die orale Vorbereitungsphase

Zerkleinerung und Einspeichelung der Nahrung bis eine geeignete schluckbare Konsistenz erreicht wurde.

  1. Die orale Phase

Der Nahrungsbrei wird zu einem Bolus geformt und mit Hilfe der Zunge entlang des Gaumens in Richtung Rachen transportiert. Hier erfolgt die Auslösung des Schluckreflexes.

  1. Die pharyngeale Phase

Unter Verschluss des Nasenraumes wird der Bolus durch die Kontraktion der Schlundmuskulatur, einer Schubbewegung des Zungenrückens und der Hebung des Kehlkopfes nach oben vorne weiter in Richtung Speisröhreneingang transportiert. Unter suffizientem Verschluss des Atemwegs und nach Öffnung des Speiseröhreneingangs gelangt der Bolus dann in die Speiseröhre.

  1. Die ösophageale Phase

Mittels peristaltischer Wellen und der gleichzeitigen Öffnung des Mageneingangs erfolgt dann der Weitertransport des Bolus in den Magen. Anschließend verschließt sich der Mageneingang wieder, um ein Zurückfließen der Speise zu verhindern.

Wie kommt es zu einer Dysphagie?

Der Schluckakt dient dazu, Nahrung, Flüssigkeit und Speichel aus der Mundhöhle in den Magen zu befördern. Dieser komplexe Vorgang wird zunächst willkürlich vorbereitet, die anschließenden Vorgänge entziehen sich jedoch der willentlichen Beeinflussung und werden rein reflektorisch gesteuert. Bei einer Dysphagie können diese Funktionen einer oder mehrerer Schluckphasen beeinträchtigt sein. Verschiedene Ursachen können zu Schluckstörungen führen und dabei den Bereich der Mundhöhle, den Rachen, die Speiseröhre oder den Magen selbst betreffen.

Je nach Schwerpunkt der Schluckstörung werden die oropharyngeale Dysphagie (Beeinträchtigungen im Mund-Rachen-Raum) und die ösophageale Dysphagie (Störungen des Transportes in der Speiseröhre) voneinander unterschieden4:

Oropharyngeale Dysphagie

Die Beschwerden finden sich typischerweise im Mund- oder Rachenbereich. Nahrung und/oder  Flüssigkeit können entweder gar nicht oder nur unvollständig nicht in die Speiseröhre transportiertwerden und fließen entweder in den Mund-Nasen-Rachenraum zurück oder geraten in die Luftröhre oder die Lunge (sog. „Aspiration“). Die oropharyngeale Dysphagie wird häufig von einem starken Hustenreiz begleitet. Dieser kann jedoch z.B. bei gestörter Sensibilität auch ausbleiben (sog. stille Aspiration), was dann eine besondere Gefahr für den Patienten bedeutet und dazu führt, dass die Dysphagie im klinischen Bereich übersehen werden kann. Hierdurch steigt das Risiko einer Aspirationspneumonie, die beispielsweise die häufigste Todesursache bei der Parkinsonerkrankung darstellt  Während neurogene Erkrankungen die weit häufigste Ursache für diese Form der Dysphagie darstellen, können jedoch auch Karzinome im Kopf-Halsbereich zu oropharyngealen Dysphagien führen.

Ösophageale Dysphagie

Die Ursache liegt hier im Bereich der Speiseröhre oder im Magen. Beispielsweise können chronische Entzündungen oder Ösophagustumore zu einer Verengung der Speiseröhre führen. Nahrungsbrei, Flüssigkeiten und sogar Speichel können dann nicht mehr ungestört passieren. Betroffene berichten typischerweise von Schmerzen oder Brennen hinter dem Brustbein (sog. „nicht kardialer Brustschmerz“) und dem Gefühl von steckengebliebener Nahrung, „das Essen rutscht nicht richtig runter“. Eine weitere häufige Ursache ösophagealer Dysphagien sind Motilitätsstörungen des Ösophagus, von denen die Öffnungsstörung des Mageneingangs, die sog. „Achalasie“ die häufigste Fo .

Schluckstörungen nach Schlaganfall5

Laut aktueller Leitlinien ist eine frühe Abklärung der Schluckfähigkeit bei allen Schlaganfallpatienten dringend empfohlen, da ein nicht unerheblicher Anteil der Patienten besonders in den ersten drei Tagen nach dem Schlaganfall gefährdet ist, eine Pneumonie zu entwickeln. Dies liegt vor allem daran, dass rund die Hälfte aller schluckgestörten Schlaganfallpatienten aspirieren.

Die Aspiration kann hier aufgrund einer gestörten laryngealen Sensibilität auch still verlaufen. Die frühzeitige Erkennung und Diagnostik einer Dysphagie ist daher insbesondere in der akuten Schlaganfallphase besonders wichtig. Bei einer schlaganfallbedingten Dysphagie steigt die Gefahr der Aspirationspneumonie um das 12-Fache, einschließlich erhöhter Morbidität und Mortalität.

Dysphagie bei Parkinson

Morbus Parkinson oder auch „idiopathisches Parkinsonsyndrom“ genannt ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung geht mit charakteristischen Symptomen, wie Bradykinese, Rigor, Tremor und einer posturalen Instabilität einher, wobei sichderer Untergang dopaminerger Neurone in der Substantia nigra auch auf den Schluckvorgang auswirken kann.6 So leiden im Verlauf der Erkrankung bis zu 80 Prozent der Parkinson-Patienten an einer Dysphagie.7 Vereinfacht gesagt, werden die Schluckbewegungen deutlicher langsamer und unpräziser, ähnlich wie die Störungen des Gangs oder der Handkoordination.

Diagnostik und Schlucktherapie bei Morbus Parkinson

Bei der Parkinson-Erkrankung können alle Phasen des Schluckaktes beeinträchtigt sein. Neben einem verstärkten Speichelfluss und ungewolltem Gewichtsverlust können häufiges Verschlucken oder Husten beim Essen auf eine bestehende Schluckstörung hinweisen. Mit entsprechender Diagnostik kann eine Dysphagie auch hier früher erkannt und geeignete therapeutische Maßnahmen entsprechend zeitnah eingeleitet werden.7

Bei der eingeschränkten Muskelfunktion der parkinsonbedingten Dysphagie kann eine logopädische Schlucktherapie unterstützend wirken. Bei der Medikation ist darauf zu achten, ob eine Einnahme uneingeschränkt möglich ist oder ggfls. die Darreichungsform geändert werden muss.6 Manchmal ist es hilfreich, die dopaminerge Medikation zu eskalieren, da dies bei manchen Patienten einen positiven Einfluss auf die Schluckfähigkeit haben kann [10] Dies gilt sogar für die supranukleäre Blickparese, einem atypischen Parkinsonsyndrom, was gemeinhin nur wenig auf L-Dopa anspricht.

Schluckstörungen bei MS8

Die neurogene Dysphagie betrifft vorrangig die orale und/oder pharyngeale Phase des Schluckvorganges. Schwerwiegende Komplikationen wie Dehydration, Malnutrition, Aspiration (auch still) und eine vital bedrohliche Aspirationspneumonie können die Folge sein. Patienten geben in der Regel erst Beschwerden an, wenn die Krankheitszeichen schon weit fortgeschritten sind.

Laut DEGAM-Leitlinie sollen insbesondere bei zunehmendem EDSS die Dysphagie-Symptome wie Verschlucken, Steckenbleiben von Nahrung in Hals und Rachen, verminderte Trinkmenge, Fieberschübe, Pneumonien und weitere einzeln abgefragt werden. Bei Bejahung soll eine Dysphagie-Diagnostik gemäß der DGN-Leitlinie Neurogene Dysphagie erfolgen.

 

Dysphagie im Alter

Mit zunehmendem Lebensalter steigt auch das Risiko, eine Schluckstörung zu entwickeln. Ursachen hierfür sind physiologische Altersveränderung der am Schluckakt beteiligten anatomischen Strunkturen sowie der Schluckmuskulatur (sog. „primäre Presbyphagie“) aber auch bestimmte mit dem Alter assoziierte Erkrankungen (sog. „sekundäre Presbyphagie“). So erhöht sich mit zunehmendem Alter auch  die Gefahr für Dehydratation, Mangelernährung, Aspirationspneumonien und Einschränkungen der Lebensqualität deutlich.

Altersbedingte Veränderungen wie ein reduzierter Zahnstatus, eine eingeschränkte Beweglichkeit oder eine nachlassende Kaukraft können sich auf die einzelnen Phasen des Schluckaktes auswirken.  Die Beschwerden entwickeln sich oft schleichend und werden häufig als unvermeidliche Begleiterscheinung des Alters angesehen und damit unterschätzt. Dabei können sie mit ernsthaften Komplikationen einhergehen und das Mortalitätsrisiko erhöhen. Auch die Entwicklung einer Demenz, unklare Gewichtsabnahme oder der soziale Rückzug im Alter,können auf eine Presbyphagie hinweisen und sollten klinisch abgeklärt werden.9

Welche Folgen kann eine Dysphagie haben?

Mangelernährung, Dehydratation und lebensbedrohende Aspirationspneumonien stellen ernsthafte Folgen einer Schluckstörung dar. Bei vielen neurologischen Erkrankungen zählen sie zu den häufigsten und gefährlichsten Symptomen.1 Aber auch die Lebensqualität kann stark beeinträchtigt sein und zu sozialem Rückzug führen. Um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden ist eine frühzeitige Diagnostik und Behandlung unverzichtbar. 

 

Therapie der Schluckstörung

Das Ziel der Schlucktherapie ist die Verbesserung des Schluckvorgangs und der Schutz der Atemwege. Sie richtet sich nach der zugrundeliegenden Ursache der Dysphagie. Aus einer meist interdisziplinär ausgerichteten, akkuraten Diagnostik lassen sich individuelle Behandlungsmaßnahmen ableiten, so dass schwerwiegende Komplikationen, wie Mangelernährung, Dehydration und Aspirationspneumonie, minimiert werden können. / Verlinkung zur Therapie

 

 

Quellenangabe

  1. Dziewas R., Pflug C. et al., Neurogene Dysphagie, S1-Leitlinie, 2020, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: dgn.org/leitlinien. Abgerufen am 30.01.23.
  2. Winterholler, C. (o. D.). Schluckprobleme und Schlucktherapie. Online verfügbar unter: https://www.dgm.org/muskelkrankheiten/als/ernaehrung-schlucken/schluckstoerung-schlucktherapie. Abgerufen am 30.01.23.
  3. Schwemmle, C., Arens, C. Fütter, Ess- und Schluckstörungen bei Säuglingen und Kindern. HNO 66, 515526 (2018). https://doi.org/10.1007/s00106-017-0388-y
  4. DFV – Deutsche Familienversicherung AG (Hrsg.) (2019). Dysphagie: Ursachen, Symptome & Behandlung. Online verfügbar unter: https://www.deutsche-familienversicherung.de/krankenhauszusatzversicherung/ratgeber/artikel/dysphagie-ursachen-symptome-therapie/. Abgerufen am 30.01.23.
  5. AWMF – Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (Hrsg.) (2020). S3-Leitlinie. AWMF-Register-Nr. 053-011.
  6. Müller, C. (2018). Kann der Parkinson-Patient seine Arzneimittel überhaupt schlucken? Online verfügbar unter: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2018/04/11/kann-der-parkinson-patient-seine-arzneimittel-schlucken/chapter:1. Abgerufen am 30.01.2023.
  7. Warnecke, T. & Claus, I. (2020). Parkinson-bedingte Schluckstörungen. Online verfügbar unter: https://www.parkinson-vereinigung.de/die-krankheit/schluckstoerungen.html. Abgerufen am 30.01.23.
  8. DEGAM-Leitlinie 8 Hemmer B. et al., Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien. Abgerufen am 30.01.23.
  9. Ulbricht, C. (2019). Schluckstörungen im Alter – Presby(dys)phagie. Online verfügbar unter: https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/AVP/Artikel/201903-4/135h/index.php. Abgerufen am 24.06.22.
  10. Warnecke T., Oelenberg S, Teismann I et al. (2010) Endoscopic characteristics and levodopa responsiveness of swallowing function in progressive supranuclear palsy. Mov Disord 25:1239-1245.